Aktualisiert am 05.08.2021 mit den Zahlen des statistischen Bundesamtes für 2020 & entsprechender Deutung der Zahlen (Pinker Text)

#BAföG50 Das Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG – trat 1971 in der BRD in Kraft und löste damit sein Vorgängermodell ab. Ziel des BAföGs in seiner ursprünglichen Form war es, dass Schüler*innen und Studierenden aus einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten bei der Finanzierung ihrer Ausbildung geholfen werden sollte. Kurzum: Chancengerechtigkeit im Bildungswesen. Hierzu wurde es als Vollzuschuss konzipiert und ein Rechtsanspruch auf Förderung verankert. Die Höchstförderung wurde anhand der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks errechnet und die Bedarfssätze sowie Elternfreibeträge sollten alle zwei Jahre überprüft werden, um sie gegebenenfalls anzupassen.

Von dem einst durchdachten Konzept zur Herstellung von Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem ist heute jedoch immer weniger zu spüren. Die Zahlen sind eindeutig: Abgesehen von der großen Reform 2001 unter Rot-Grün, haben die meisten eher kleinen Anpassungen den Trend nicht umkehren können. Insbesondere seitdem das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2013 konstant CDU-geführt ist (Schavan, Wanka, Karliczek), befindet sich die Förderquote im stetigen Fall. Zur politischen Einordnung der Entwicklungs-Kurven findet ihr weiter unten eine Auflistung wichtigster Eckdaten des BAföGs. In den Grafiken haben wir für die Jahre, in denen gesetzliche Anpassungen erfolgt sind, zur besseren Nachvollziehbarkeit und Überblick jeweils die zugehörigen Werte eingetragen.


Quellen: Statistisches Bundesamt (Gesamtstatistik ; Anzahl Studierende)


(1) Über die Jahrzehnte sank die Geförderten-Quote immer weiter und hat 2021 mit unter 11% einen historischen Tiefstand erreicht. Das Bildungsministerium unter Leitung von Anja Karliczek (CDU) verweist hierbei gerne darauf, dass, wenn ausländische Studierende aus der Gesamtzahl immatrikulierter Studierender herausgerechnet würden, die Zahl der BAföG-Beziehenden deutlich höher sei – tatsächlich zeigt sich, dass der Unterschied jedoch nur marginal ist. Angesichts dessen, dass in Deutschland die absolute Anzahl an Studierenden kontinuierlich gestiegen ist (2001: ca. 1,8 Mio.; 2020: ca. 3 Mio. Studierende) und damit immer mehr Studierende aus sozio-ökonomisch benachteiligten Hintergründen an die Hochschulen gehen, müsste im Falle eines funktionierenden Förder-Instrument logischer Weise die Anzahl der Geförderten stetig steigen – da ja mehr Menschen aus finanziell benachteiligten Haushalten nun studieren. Dem ist jedoch nicht so, da die Förderquote weiterhin sinkt. Das Bildungsministerium verweist hierbei darauf, dass viele an sich Förderberechtigte keinen Antrag stellen und die Zahlen deshalb so niedrig seien. Es weist öffentlich von sich, dass das Problem beim BAföG selbst liegt und ein hoher Reform-Bedarf besteht. Doch die Realität ist, dass selbst wenn berücksichtigt wird, dass viele Antragsberechtigte keinen Antrag stellen, würden wir rechnerisch trotzdem nicht auf die einstigen Quoten von fast 45% (1971, Vollzuschuss), bzw. zum Höhepunkt der Förderquote des wiedervereinigten Deutschlands mit 26,6% (1991) kommen. Zudem ist in den vergangenen Jahren zu beobachten, dass die Zahl der Studierenden aus nicht-akademischer Herkunft wieder sinkt, was mit Sicherheit auch am BAföG liegt. Historisch zeigt sich eindeutig, dass die Förderquote durch bestimmte gesetzliche Ereignisse stark beeinflusst wird. Nach Abschaffung des Vollzuschusses (1974) und der Einführung des Schuldenzwangs bei Bezug (1982) sinkt die Förderquote besonders stark. Im Falle von zu geringen Anpassungen der Freibeträge konnte der Sinkflug ebenfalls nicht aufgehalten werden. Kehrseitig war die Förderquote zu Zeiten des Vollzuschusses besonders hoch (1971) und stieg bei der Reduzierung der Schuldenhöhe (2001) sowie nach deutlicher Anhebung der Freibeträge (2008/10).

Da die Anpassungen des BAföGs mit der 2019 aufgelegten Novelle unter Anja Karliczek keine deutlichen Anhebungen und vor allem grundsätzliche strukturellen Veränderungen beinhaltete, ist zudem nicht verwunderlich, dass der Abwärtstrend trotz der Novelle für 2020 nicht umgekehrt werden konnte.

(2) Daneben lassen die Anteile dessen, wie viele Studierende eine Voll- oder Teilförderungen erhalten, einen weiteren gefährlichen Trend erkennen. Immer mehr Studierende erhalten einen Vollzuschuss bei gleichzeitig insgesamt sinkenden Zahlen. Das bedeutet, dass immer mehr BAföG-Geförderte aus besonders niedrigen Einkommensschichten stammen und immer weniger Menschen aus dem unteren und mittleren Mittelstand gefördert werden. Anders ausgedrückt: der Trend geht dahin, dass eine Person finanziell schon ziemlich arm sein muss, um BAföG-berechtigt zu sein.

Für die Zahlen von 2020 bedeutet dies gleichsam, dass der zunächst positiv wirkende Anstieg der Bedarfs-Höchstsätze nicht unbedingt darauf zurückzuführen ist, dass generell Studierende aufgrund der Novelle von 2019 mehr Geld bekommen. Wahrscheinlicher ist, dass durch die Rückläufigkeit von Teilförderungen und den Anstieg von Vollförderungen die gestiegene Anzahl derjenigen, die so arm sind, dass sie den Förderhöchstsatz bekommen, dazu führt, dass die durchschnittliche Fördersumme insgesamt gestiegen ist.

(3) Ein weiterer wichtiger Aspekt bezieht sich auf den BAföG-Höchstsatz, welcher in den meisten Hochschulstädten nicht zum Leben reicht. Ursprünglich sollte anhand der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks alle zwei Jahre überprüft werden, ob die Bedarfssätze noch ausreichen. Im Jahr 2019 beträgt der BAföG-Höchstsatz für familienversicherte Studierende die nicht bei ihren Eltern wohnen 752€ und für Selbstversicherte 861€. Doch bei Fortrechnung der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (2016) zeigt sich für das Jahr 2020, dass Studierende mit Kosten zwischen 632€ und 1.518 € pro Monat zu rechnen haben – an staatlichen Hochschulen ohne allgemeine Studiengebühren. Werden die unterschiedlichen realen durchschnittlichen Mietpreise von Studierenden (bsp. FAZ nach MLP-Berechnung) , die unterschiedlichen anfallenden Kosten für Krankenversicherungen (bsp. TK: 110, 85€), die unterschiedlich ausfallen Kosten für Semester-Beiträge und weitere Gebühren sowie weitere für den Lebensunterhalt notwendigen Kosten (630€ → Essen 220€, Fahrtkosten 150€, Kleidung 60€, Telefon/Internet 40€, Digitalpauschale für elektronische Geräte 40€, Lernmittel 30€, Freizeit 90€) zusammengerechnet, ergeben sich beispielhaft für alleinstehende selbst versicherte Studierende im Jahr 2020 folgende unserer Berechnung nach realistische monatlichen Bedarfssätze:*

  • Studi 1: Dresden Miete (375€), Lebensunterhalt (630€), TK (110,85€), 180€ Semesterbeitrag HTW → 1145,85€
  • Studi 2: Aachen (315€), Lebensunterhalt (630€), TK (110,85€), 300€ Semesterbeitrag RWTH → 1105,85€
  • Studi 3: Magdeburg (245€), Lebensunterhalt (630€), (110,85€), 130€ Semesterbeitrag Uni → 1007,54€
  • Studi 4: wohnt in München (700€), Lebensunterhalt (630€), TK (110,85€), 144,40€ TUM → 1464,92€

* Anmerkung: Magdeburg ist die günstigste Hochschulstadt der 30 größten Hochschulstädte, München hingegen die teuerste (2020).

Somit liegt der aktuelle Höchstsatz von 861€ für selbst versicherte, alleinstehende und nicht bei den Eltern wohnende Studierende deutlich unter den realen monatlichen Mindestbedarfen. Die an den realen durchschnittlichen Mietpreisen in deutschen Studierendenstädten vorbeigehende Wohnkostenpauschale von 325€/Monat ist hierbei ein besonders ausschlaggebender Faktor dafür, warum die BAföG-Sätze zum Leben nicht reichen.

Im Übrigen: selbst, wenn zur Errechnung der Lebenshaltungskosten nicht das errechenbare monatliche Maximum, sondern lediglich das durchschnittliche Minimum stundentischer monatlicher Ausgaben (Sozialerhebung) heranzieht , liegen die Bedarfssätze immer noch meilenweit von den erhobenen Bedarfen entfernt.


Quellen: Sozialerhebung ; FiBS


Man muss ja nicht in die teuersten Städte gehen […] wir haben auch hervorragende Standorte in Gegenden, in denen Wohnen nicht so teuer ist.

Anja Karliczek, Bildungsministerin, 2019

Die wichtigsten Eckdaten des BAföGs

Quelle: Deutsches Studentenwerk

  • 1971: Das BAföG beginnt in der BRD als Vollzuschuss & sinkt bis 1981 kontinuierlich
  • 1974: Der Darlehensbetrag wird eingeführt
  • 1982: BAföG-Kahlschlag unter Kohl (CDU): BAföG nur noch als Volldarlehen
  • 1990: Möllemann (FDP) wandelt das BAföG zur heutigen Darlehensform um
  • 2001: umfangreiche Reform (Rot-Grün): Verschuldungsobergrenze 10.000€, Kindergeld nicht mehr als Einkommen
  • 2008/10: Änderungsgesetz (Schavan, CDU): Auslandsstudium möglich, Minijobs werden nicht als Einkommen angerechnet, Erhöhung Bedarfssätze (2008: 10%, 2010: 2%), Erhöhung Freibeträge (2008: 8%, 2010: 3%)
  • 2014-17: 25. Änderungsgesetz (GroKo): Erhöhung Bedarfssätze und Freibeträge (je 7%), Aufenthaltsberechtigte & geduldete ausländische Studierende können BAföG beziehen
  • 2019: 26. Änderungsgesetz (Karliczek, CDU): Erhöhung der Bedarfssätze (2019: 5%, 2020: 2%), Erhöhung Freibeträge (2019: 7%, 2020: 3%, 2021: 6%), geringfügige Erhöhung weiterer Zuschläge, Änderung Rückzahlmodalitäten
  • 2022: 27. Änderungsgesetz (Stark-Watzinger, FDP): Erhöhung Bedarfssätze (5,75% – in Anbetracht der Inflation müssten für eine gleichbleibende Kaufkraft die Bedarfssätze um 10% steigen) und Freibeträge (20,75%), Wohnkostenpauschale steigt von 325 auf 360€, Altersgrenze steigt auf 45, der Vermögensfreibetrag wird auf 15.000 bzw. 45.000 und der Kinderbetreuungszuschlag um auf 160€ erhöht. Der BAföG-Antrag kann erstmals über bafoeg-digital.de digital eingereicht werden, wenngleich der Antrag häufig noch im BAföG-Amt anschließend ausgedruckt werden muss.
  • 2023/24: Strukturreform angekündigt, zeitgleich wurden bei den Haushaltsverhandlungen 2023/24 aufgrund des Ziels der Einhaltung der Schuldenbremse die Mittel fürs BAföG um 721Mio Euro (26,6%) eingekürzt.